Standbilder in Beziehungen- Nähe und Distanz
Standbilder in Beziehungen: Nähe, Distanz und echte Begegnung
Viele Menschen bewegen sich mit einem inneren Standbild durch die Welt – einem Bild, wie Begegnung „richtig“ zu sein hat. Diese vorgeprägten Maßstäbe steuern, was uns zu nah, zu distanzlos oder „angebracht“ erscheint. Und oft verhindern sie genau das, was wir suchen: wirkliche Begegnung.
Was ist ein „Standbild“?
Ein Standbild ist ein inneres, verfestigtes Bild davon, was in Kontakt richtig oder falsch ist – wie viel Nähe „gut“ ist und welche Distanz „professionell“ wirkt. Es entsteht aus Erfahrung und Sozialisation und wirkt besonders dort stark, wo wir Verantwortung tragen oder professionell handeln wollen.
Ein Gespräch, das etwas sichtbar machte
Vor kurzem sagte mir eine Ärztin: „Ich möchte Patient:innen und Mitarbeitenden nicht auf der Gefühls- oder Bedürfnisebene begegnen. Das ist zu nah, distanzlos – ein Eingriff in die Persönlichkeit.“ Gemeint war Respekt: niemandem zu nahe treten. Gleichzeitig zeigte sich: Dieses „zu nah“ war kein objektiver Maßstab, sondern ein inneres Standbild – ein Vorgriff darauf, was für das Gegenüber passend sei, ohne es zu fragen.
Achtsamkeit, die Abstand meint
Häufig halten wir Distanz für rücksichtsvoll und bemerken nicht: Wir schützen damit vor allem unsere eigene Grenze. Wir verwechseln Rücksicht mit Vorsicht und Achtsamkeit mit Abstand. Ohne Reflexion übertragen wir das Standbild auf alle Menschen – und entscheiden unbewusst mit, wie viel Nähe „gut“ ist.
Das gilt auch umgekehrt: Wer Nähe für alle als wohltuend annimmt, greift ebenfalls auf ein Standbild zurück. In beiden Fällen ersetzen Annahmen die Begegnung.
Warum Standbilder echte Begegnung verhindern
- Vorgreifen statt fragen: Wir glauben zu wissen, was das Gegenüber braucht, und überspringen das gemeinsame Erkundungsgespräch.
- Selbstschutz statt Kontakt: Das innere Maß dient oft unserer Sicherheit, nicht der des anderen.
- Verfestigte Rollen: Nähe oder Distanz werden zur Regel – statt situativ und beziehungsbezogen entschieden zu werden.
Was hilft? Begegnung jedes Mal neu entdecken
- Explizit erfragen: „Wie nah ist für Sie heute stimmig?“ – statt stillschweigend anzunehmen.
- Selbstempathie vorweg: Eigene Grenze spüren, benennen – und nicht zur Norm für alle machen.
- Mikro-Absprachen: Erlaubnisse und Stoppsignale vereinbaren (z. B. „Darf ich eine Frage zur Gefühlsseite stellen?“).
- Kontextsensibel handeln: In Palliativ-, Therapie- oder Coaching-Settings Nähe und Distanz als beziehungsbezogene Entscheidung verstehen – nicht als Standard.
Fazit: Haltung statt Standbild
Die Kunst von Beziehung ist nicht, vorab zu wissen, wie Begegnung „richtig“ ist, sondern sie gemeinsam neu zu entdecken. Gewaltfreie Kommunikation unterstützt, innere Bilder zu erkennen, Annahmen zu prüfen und Kontakt so zu gestalten, dass das zählt, was das Gegenüber wirklich braucht – nicht das, was unsere Geschichte gewohnt ist.
FAQ – Nähe, Distanz und Standbilder in der GFK-Praxis
Was genau ist mit „Standbild“ gemeint?
Ein Standbild ist eine verfestigte innere Annahme darüber, wie viel Nähe oder Distanz in Begegnungen „angebracht“ ist. Es entsteht aus Biografie und Kultur und steuert Verhalten, oft unbewusst.
Ist Distanz nicht oft professionell und notwendig?
Ja – Distanz kann schützen und professionell sein. Problematisch wird sie, wenn sie zur unreflektierten Norm wird und nicht mehr gemeinsam mit dem Gegenüber abgestimmt wird.
Wie kann ich mein Standbild erkennen und relativieren?
Durch Selbstempathie (Was schützt mich hier?), Erkundungsfragen an das Gegenüber und klare Mikro-Absprachen („Ist das so stimmig für Sie?“). So wird aus Annahmen ein wirklicher Dialog.
Passt das zur Arbeit in Medizin, Therapie oder Coaching?
Gerade dort. Nähe und Distanz sind beziehungsbezogene Entscheidungen. Transparente Erkundung, Zustimmung und Stoppsignale schaffen Sicherheit ohne Automatismen.